Am Dienstag, den 19. November 2024, führte das Theater Laboratorium Oldenburg für die Oberstufenschülerinnen und Schüler der Heinz-Nixdorf Gesamtschule, ihre Lehrerinnen und Lehrer sowie ihre Eltern und Freunde das Puppenspiel „Wenn ich wieder klein bin. Eine Erinnerung an Janusz Korczak“, inszeniert von Pavel Möller-Lück, in der Kulturwerkstatt Paderborn auf. Gefördert wurde die Veranstaltung im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Den Antrag dafür stellten die Schülerinnen und Schüler selbst.
„Nach den Herbstferien werden wir uns mit der Arbeit und dem Wirken Janusz Korczaks auseinandersetzen und erhoffen uns dadurch nicht nur, einen bedeutenden Pädagogen kennenzulernen, sondern auch eine Persönlichkeit außergewöhnlichen Engagements und Mutes“, schrieben die Schülerinnen und Schüler des Grundkurses Pädagogik in ihren Antrag auf Förderung des Projekts, den sie bei der Koordinierungsstelle für die Partnerschaft für Demokratie im Kreis Paderborn im „Bundesprogramm Demokratie leben!“ einreichten. Ihre Absicht war nicht vorrangig, an das Siegel ihrer Schule „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ zu erinnern, sondern vielmehr, der Erinnerung an Janusz Korczak eine Bühne zu geben und durch das Puppenspiel – einem Medium, das eher mit Kindern in Verbindung gebracht wird – den jugendlichen und erwachsenen Zuschauerinnen und Zuschauern eine Gelegenheit zu geben, wieder klein zu sein und so einem ganz außergewöhnlichem Geschehen zu folgen, das in einer Nische des Nationalsozialismus stattfand – außergewöhnlich, weil Janusz Korczak mit den Kindern sprach und nicht zu ihnen; weil er zu den Kindern aufschaute und sich nicht zu ihnen hinunterbeugte; weil er sie nicht belog, weil er sie nicht verletzte und sie stattdessen achtete, weil er für sie sorgte, sie nicht allein ließ und sich für ihre Rechte einsetzte. Noch heute ist er bekannt für seine „Pädagogik der Achtung“ und gilt als Vorreiter für Kinderrechte. „Kinderrechte sind ein stets aktuelles Thema und es ist einfach toll, dass wir zum internationalen Tag der Kinderrechte diese Veranstaltung für unsere Schülerinnen und Schüler mit der Unterstützung durch „Demokratie leben!“ und der Kulturwerkstatt anbieten können“, freut sich Lars Schröder, Schulleiter der Heinz-Nixdorf Gesamtschule.
„Ich bin froh,“ so Victoria Evers, Koordinatorin für die Partnerschaft für Demokratie im Kreis Paderborn im „Bundesprogramm Demokratie leben!“, „dass die Schülerinnen und Schüler der Heinz-Nixdorf Gesamtschule gemeinsam mit ihrer Lehrerin Gretel Schulz an mich herangetreten sind und nach Fördermöglichkeiten gesucht haben.“ Sie freue sich darüber, „dass sich junge Menschen aus eigenem Antrieb um die Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes kümmern und gleichzeitig ein Statement für die Gegenwart setzen: Es zählt einfach der Mensch.“
Und genau darum ging es im Vorfeld, als die Schülerinnen und Schüler im Kurs darüber berieten, warum gerade dieses Projekt gefördert werden sollte: „Im schulischen Rahmen werden überwiegend nur „schlechte“ Persönlichkeiten der NS-Zeit behandelt“, überlegte Samanta. „Dabei verlieren die Schüler den Blick auf mutige und einsatzbereite Personen wie Janusz Korczak, welcher für Hoffnung und Entschlossenheit gesorgt hat. Solch ein Theaterstück ermöglicht uns, uns in die Situation hineinzuversetzen. Dabei können wir als Schüler und Schülerinnen für die Thematik sensibilisiert werden und ein besseres Verständnis erreichen.“ Es gehe aber „nicht nur um das Stück selbst“, fand Joline, „sondern auch darum, dass viele Schülerinnen und Schüler finanziell nicht in der Lage sind sich mit ihren Familien das Stück selbst anzuschauen. Mithilfe der Förderung wird eine Möglichkeit geboten allen Schülern eine Chance zu bieten sich das Puppenspiel anzuschauen, unabhängig von der sozialen Situation – zumal es nicht einfach Unterhaltung bieten soll, sondern zu unserer Bildung beiträgt. In einer Schule ohne Rassismus und Schule mit Courage wird keiner benachteiligt und ausgeschlossen in irgendeiner Form.“ Korzcak sagte mal: „Es ist eine Verdrehung der Gerechtigkeit, dass einige nicht vergessen werden, andere aber doch.“ Dieses Zitat ist eines der neun Zitate Korczaks, die die Schülerinnen und Schüler auf Postkarten in den Farben des Vielfalt-lieben!-Logos drucken ließen. Diese Postkarten durften sich die Zuschauerinnen und Zuschauer am Dienstagabend mitnehmen.
Und dann war es so weit. Pavel Möller-Lück zeigte sich gerührt ob der „zauberhaften Organisation“ durch die Pädagogikschülerinnen und -Schüler und ihrer Lehrerin Gretel Schulz. Dann begann er, sein Publikum zu verzaubern, indem er die Lebensgeschichte und Arbeit Korczaks, dem polnischen Juden, mit bürgerlichem Namen Dr. med. Henryk Goldszmit, der seine Arztkarriere aufgab, um sein pädagogisches und soziales Engagement als Erzieher von Waisenkindern zur Entfaltung zu bringen, auf einer Bühne inszenierte, die neugierig machte: Alte Koffer baumelten von den Traversen und in ihnen verbargen sich weitere kleine Bühnenbilder wie z. B. das Elternhaus Korczaks oder ein Schlafsaal seines Waisenhauses. Auf den Deckel eines Koffers wurden Fotos und Schriften projeziert. In der Mitte sah man Korzak, den Schriftsteller von oben, wie er die Eindrücke und Erfahrungen seiner praktischen Arbeit mit den Kindern reflektierte. Doch das wohl Faszinierenste waren die Stimmen, die er seinen Puppen verlieh:
Im Gespräch mit Perla Papierbuch, einer 80-jährigen ehemaligen Bewohnerin des Waisenhauses, die Korczak retten konnte und die auf der Bühne die einzige menschengroße Puppe war, tauchte der Schauspieler ein in die Vergangenheit und nun wurden die Kinderpuppen zu den Protagonisten des Stücks: ihre Stimmen, ihr Lachen, ihre Klagen, ihre Sorgen, ihre Tränen, ihre Geheimnisse und ihre Lösungen für die Probleme im Waisenhaus fanden in den Gesprächen mit dem außerordentlich humorvollen und einfühlenden „Doktor“ Gehör. Über 30 Jahre leitete er das jüdische Waisenhaus in Warschau. 30 Jahre Dienst an den Kindern, Jahre, die angefüllt waren von Kinderlachen und Hunderten von kleinen Pflichten. Die Herrschaft der Nationalsozialisten warf ihre Schatten voraus. 1940 erfolgte der Umzug des Waisenhauses ins Warschauer Ghetto. Die Lebensbedingungen waren katastrophal, doch Korczak stellte sich immer wieder schützend vor „seine Kinder“. Am 5. August 1942 begleitete Korzcak seine zweihundert Zöglinge in das deutsche Vernichtungslager Treblinka, wo sich seine Spur verliert. Das Ende des Stücks hinterließ Stille, Betroffenheit und Tränen. Applaus? Jetzt?
„Das war wirklich eine Bereicherung für mich und alle Anwesenden“, stellt Frau Kleine, stellvertretende Schulleiterin, fest. Auch die Schülerinnen und Schüler fanden das Puppenspiel „sehr berührend, bereichernd und einzigartig“. „Das werde ich nie, nie vergessen!“, sagte nach der Aufführung Herr Prof. Dr. Keim, emeritierter Professor für allgemeine und historische Pädagogik an der Universität Paderborn.
Und das wird wohl niemand.
„Was die Schülerinnen und Schüler mitnehmen, ist die Erinnerung an Korzcak, seinen Einsatz und den Umgang mit „seinen“ Kindern, die sicherlich ihre Sicht auf das Heute prägen wird“, stellt Gretel Schulz, die Lehrerin des Kurses, glücklich fest. „Was sie aber auch mitnehmen, ist die Erfahrung, eine Idee gut begründen zu müssen, nach Möglichkeiten zu suchen, einem Wunsch nachzugehen, zu bitten, zu warten, sich selbst als Handelnde zu begreifen, sich für etwas einzusetzen und die Erfahrung, wie gut es tut, Menschen wie Korczak eine Bühne zu bieten.“